Dieses Werk ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Softwarepatente und literarische Patente

Wenn Politiker die Frage der Softwarepatente bedenken, entscheiden sie sich üblicherweise blindlings; da sie keine Programmierer sind, verstehen sie nicht, was es mit Softwarepatenten wirklich auf sich hat. Oft glauben sie, Patente und Urheberrechte sind ähnlich (abgesehen von einigen Details) ‑ was nicht der Fall ist. Als ich beispielsweise Patrick Devedjian, damals Frankreichs Industrieminister, öffentlich fragte, wie Frankreich über die Frage der Softwarepatente abstimmen würde, antwortete Devedjian mit einer leidenschaftlichen Verfechtung des Urheberrechts, indem er Victor Hugo für seine Rolle bei der Einführung des selbigen lobte (der irreführende Begriff geistiges Eigentum fördert dieses Durcheinander, was einer der Gründe dafür ist, warum er niemals benutzt werden sollte).

Wer sich die Auswirkungen wie die des Urheberrechts vorstellt, kann die desaströsen Auswirkungen von Softwarepatenten nicht begreifen. Wir können Victor Hugo als Beispiel nehmen, um die Unterschiede zu beleuchten.

Ein Roman und ein modernes komplexes Programm haben bestimmte Punkte gemein: beide sind umfangreich und setzen zahlreiche Ideen in Kombination um. Folgen wir also der Analogie und nehmen an, dass Patentrecht sei bereits im 19. Jahrhundert bei Romanen angewandt worden; nehmen wir an, dass Staaten wie Frankreich die Patentierung literarischer Ideen erlaubt hätte. Welche Auswirkungen hätte das auf Victor Hugos Schriften gehabt? Wie wären die Auswirkungen literarischer Patente mit literarischem Urheberrecht zu vergleichen?

Betrachten wir Victor Hugos Roman Les Misérables. Da er ihn schrieb, gehörte ausschließlich ihm das Urheberrecht. Er musste nicht befürchten, dass irgendjemand ihn wegen Verletzung des Urheberrechts verklagen und gewinnen könnte. Das war unmöglich, weil Urheberrecht nur die Details über ein Werk der Autorschaft umfasst, nicht die darin verkörperten Ideen, und es beschränkt nur das Kopieren. Hugo hatte Les Misérables nicht kopiert, also war er durch das Urheberrecht nicht gefährdet.

Mit Patenten verhält es sich anders. Patente decken Ideen ab; jedes Patent ist ein Monopol auf die Ausübung einer Idee, die in dem Patent selbst beschrieben ist. Hier ist ein Beispiel für ein hypothetisches literarisches Patent:

  • Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers das Konzept eines Charakters darstellt, der lange im Gefängnis gewesen ist und verbittert gegenüber Gesellschaft und Menschheit wird.
  • Patentantrag 2: ein Kommunikationsprozess im Sinne von Patentantrag 1, worin besagter Charakter nachträglich moralische Wiedergutmachung durch die Liebenswürdigkeit eines anderen findet.
  • Patentantrag 3: ein Kommunikationsprozess im Sinne von Patentantrag 1 und 2, worin besagter Charakter seinen Namen während der Geschichte ändert.

Hätte solch ein Patent 1862, als Les Misérables veröffentlicht wurde, bestanden, wäre der Roman mit allen drei Patentanträgen in Konflikt geraten, da all diese Dinge Jean Valjean im Roman passierten. Victor Hugo hätte verklagt werden können und hätte in diesem Falle verloren. Der Roman hätte verboten werden können ‑ im Endeffekt zensiert ‑ vom Patentinhaber.

Betrachten wir nun dieses hypothetische literarische Patent:

  • Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers das Konzept eines Charakters darstellt, der lange im Gefängnis gewesen ist und anschließend seinen Namen ändert.

Les Misérables wäre auch durch dieses Patent untersagt worden, weil diese Beschreibung ebenfalls zur Lebensgeschichte von Jean Valjean passt. Hier ist ein weiteres hypothetisches Patent:

  • Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers das Konzept eines Charakters darstellt, der moralische Wiedergutmachung findet und dann seinen Namen ändert.

Jean Valjean wäre auch durch dieses Patent verboten worden.

Alle drei Patente würden die Lebensgeschichte dieses einen Charakters abdecken und verbieten. Sie überlappen, aber duplizieren einander nicht genau, somit können sie alle gleichzeitig gültig sein; alle drei Patentinhaber hätten Victor Hugo verklagen können. Jeder einzelne von ihnen hätte die Veröffentlichung von Les Misérables verbieten können.

Auch gegen dieses Patent hätte mit

  • Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der einen Charakter darstellt, dessen Vorname mit der letzten Silbe seines Familiennamens übereinstimmt.

durch den Namen Jean Valjean verstoßen werden können, aber zumindest wäre dieses Patent leicht zu vermeiden gewesen.

Man könnte meinen, dass diese Ideen so simpel sind, dass kein Patentamt sie ausstellen würde. Wir Programmierer sind oft von der Einfachheit der Ideen erstaunt, die wirkliche Softwarepatente abdecken. So hat das Europäische Patentamt beispielsweise ein Patent auf die Fortschrittsleiste ausgestellt und ein Patent, um die Zahlung über Kreditkarten zu akzeptieren. Diese Patente wären lachhaft, wenn sie nicht so gefährlich wären.

Andere Aspekte von Les Misérables hätten ebenfalls mit Patenten ins Gehege kommen können. Man hätte beispielsweise ein Patent auf eine fiktionalisierte Darstellung der Schlacht von Waterloo ausstellen können oder ein Patent, Pariser Slang in Literatur zu verwenden. Zwei weitere Klagen. Es gibt de facto keine Grenze für die Anzahl verschiedener Patente, die für das Verklagen des Autors eines Werks wie Les Misérables hätten anwendbar sein können. Alle Patentinhaber würden sagen, dass sie eine Belohnung für den literarischen Fortschritt verdienten, den ihre patentierten Ideen darstellen, doch diese Hindernisse würden den Fortschritt in der Literatur nicht fördern, sondern behindern.

Jedoch könnte ein sehr ausgedehntes Patent all diese Streitpunkte irrelevant werden lassen. Stellen Sie sich ein Patent mit ausgedehnten Ansprüchen wie diesen vor:

  • Ein Kommunikationsprozess mit strukturierter Erzählung, die sich über viele Seiten fortsetzt.
  • Eine Erzählungsstruktur, die manchmal einer Fugue oder Improvisation ähnelt.
  • Artikulierte Intrigen um die Konfrontation von bestimmten Charakteren, von denen jeder dem anderen wiederum Fallen stellt.
  • Erzählung, die viele Gesellschaftsschichten darstellt.
  • Erzählung, die die Machenschaften heimlicher Verschwörung aufzeigt.

Wer wären die Patentinhaber gewesen? Es hätte sich um andere Romanautoren, vielleicht Dumas oder Balzac, handeln können, die solche Romane geschrieben hätten ‑ aber nicht unbedingt. Es wird nicht verlangt ein Programm zu schreiben, um eine Softwareidee patentieren zu lassen. Wenn also unsere hypothetischen literarischen Patente dem wirklichen Patentsystem folgen, hätten diese Patentinhaber keine Romane schreiben müssen oder Geschichten oder irgendetwas ‑ nur Patentanmeldungen. Patentschmarotzende Firmen, Unternehmen, die nichts außer Drohungen und Prozessen produzieren, haben derzeit Hochkonjunktur.

Angesichts dieser weitreichenden Patente wäre Victor Hugo wohl niemals in den Sinn gekommen zu fragen, aufgrund welcher Patente man ihn für die Verwendung eines Charakters wie Jean Valjean hätte verklagen können, weil er nicht einmal daran hätte denken können, einen derartigen Roman zu schreiben.

Diese Analogie kann Nichtprogrammierern helfen zu erkennen, was Softwarepatente wirklich anrichten. Softwarepatente umfassen Eigenschaften wie das Definieren von Abkürzungen in einem Textverarbeitungsprogramm oder die automatische Neuberechnung von Zellinhalten in einer Tabellenkalkulation. Patente decken Algorithmen ab, die Programme verwenden müssen. Patente decken Aspekte von Dateiformaten wie Microsofts OOXML-Format ab. Das MPEG 2-Videoformat wird durch 39 verschiedene US-Patente abgedeckt.

Genauso wie ein Roman mit vielen verschiedenen literarischen Patenten auf einmal in Konflikt geraten könnte, kann ein Programm durch viele Patente auf einmal verboten werden. Es bedeutet eine Menge Arbeit alle Patente zu identifizieren, die für ein großes Programm zu gelten scheinen, sodass nur eine einzige solche Untersuchung durchgeführt wurde. Eine 2004 durchgeführte Untersuchung von Linux, dem Betriebssystemkern vom GNU/Linux-Betriebssystem, fand 283 verschiedene US-Softwarepatente, die es abzudecken schienen. Das heißt, dass jedes dieser 283 unterschiedlichen Patente irgendeinen Rechenprozess verbietet, der sich irgendwo in den Tausenden von Seiten des Linux-Quellcodes befindet. Zu der Zeit machte Linux etwa ein Prozent des gesamten GNU/Linux-Systems aus. Wie viele Patente mag es geben, unter denen ein Distributor eines Gesamtsystems verklagt werden könnte?

Der Weg, das Verpfuschen von Softwareentwicklung durch Softwarepatente zu verhindern, ist einfach: keine Autorisierung. Das sollte einfach sein, da die meisten Patentrechte Regelungen gegen Softwarepatente beinhalten. Typischerweise heißt es, dass Software per se nicht patentierbar sei. Weltweit versuchen Patentämter jedoch, die Wörter zu verdrehen und Patente für in Programmen umgesetzte Ideen umzusetzen. Solange das nicht gestoppt ist, wird das Ergebnis alle Softwareentwickler in Gefahr bringen.

Dieser Aufsatz wurde englischsprachig in Free Software, Free Society: The Selected Essays of Richard M. Stallman veröffentlicht.

Anmerkungen des Übersetzungsteams:

  1. [1] EU-Softwarepatent-Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen.